Erstellt am: 17.10.2022

VPN-Generator aus Berlin für freien Informationszugang in Russland

VPN-Generator aus Berlin für freien Informationszugang in Russland

Ein Interview mit Nikita Zubov, Mitbegründer des Berliner IEDN-Instituts zum tobenden digitalen Informationskrieg in seiner Heimat Russland.

René Ebert: Schönen guten Tag Herr Zubov. Wenn ich das so in der Form vorausschicken darf; Sie haben russische Wurzeln und wir beide kennen uns ja auch schon eine ganze Weile; Sie sind mit mehreren in Berlin ansässigen Unternehmen und dem IEDN Privatinstitut zur Förderung und Entwicklung öffentlicher digitaler Netze gGmbH engagiert im SIBB e.V. und ich weiß, dass Sie schon Jahre vor dem Beginn dieses schrecklichen Krieges gegen die Ukraine ihre Heimat Russland verlassen haben, vor allem, weil Sie mit der dortigen Politik und den damit einhergehenden Repressalien überhaupt nicht einverstanden waren und sind. Sie sind dann nach Berlin gegangen und haben hier mit ihrem Expertenwissen verschiedene Unternehmen in der Digitalbranche erfolgreich aufgebaut. Unser Zusammenkommen heute bezieht sich aber auf eine Aktivität, die Sie gemeinsam mit weiteren Exil-Russen durch das schon erwähnte Institut IEDN vorantreiben. Bitte erzählen Sie uns doch einmal als jemand, der ja noch engste Kontakte nach Russland unterhält, wie Sie die dortige aktuelle Lage in Bezug auf Informations- und Pressefreiheit einschätzen. Für uns mit dem westlichen Blick ist es ja wirklich etwas schwer vorstellbar, dass keine oder eben nur staatliche gefilterte Informationen über den Angriffskrieg auf die Ukraine; das Wort „Spezialoperation“ ist ja an Absurdität nicht zu übertreffen, an die Zivilgesellschaft in Russland gelangen?

Nikita Zubov: Im Moment sind alle Medien, die alternative Meinung zur offiziellen Information des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation äußern, auf dem Territorium Russlands blockiert.

Die Vernichtung der Pressefreiheit dauerte schon seit Jahren an, aber mit dem Beginn des Krieges wurde, so drastisch möchte ich es formulieren, der letzte Nagel in den Sarg der Pressefreiheit in der Russischen Föderation gehämmert.

René Ebert: Können Sie uns bitte genauer erklären, wie Sie mit den Services des Institutes dazu beitragen, der russischen Bevölkerung Zugang zu unabhängigen Nachrichtenquellen zu ermöglichen?

Nikita Zubov: Wir geben den Menschen einen kostenfreien Zugang zu einem Kommunikationskanal, der nicht zensiert werden kann.

Wenn wir uns an die sowjetische Zeit erinnern, und das kann ich als Betroffener sehr gut, waren Radio Liberty und Voice of America, die aus Europa ausgestrahlt wurden, unsere Quellen für Informationen von der anderen Seite des Eisernen Vorhanges. Mit den VPN-Möglichkeiten, die wir durch unser Institut zur Verfügung stellen, sind wir nun in der modernen digitalen Informationswelt so etwas wie gleichzeitig eine Sendeantenne und ein Empfänger für Interessierte in Russland.

René Ebert: Ja genau, VPN also Virtuel Private Networks; das ist ja der Aufhänger und Grund unseres Gespräches heute. Angesichts des repressiven Putin-Regimes wurden und werden ja sicherlich viele VPN-Lösungen angeboten und in Russland genutzt, um an unzensierte Quellen zu gelangen. Was genau zeichnet Ihr Produkt aus? Was unterscheidet Ihr Angebot von anderen und welche besonderen Vorteile bieten Sie an?

Nikita Zubov: Wir bieten im rein technischen Sinne kein VPN an; wir bieten einen VPN-Generator an. Ein ganz wichtiger Punkt ist, das möchte ich betonen, dass wir darauf verzichten, mit diesen Produkten Geld zu verdienen. Mir ist es ein absolut am Herzen liegendes Anliegen, meinen Landsleuten in der Heimat Möglichkeiten zu bieten, sich andere Informationsquellen als die staatlich verordneten zu verschaffen. Wir setzen, wenn man so will, das zentrale Bindeglied des Systemmanagements in unseren VPN-Generatoren außer Kraft, denn diese Komponenten sind technisch am einfachsten zu blockieren. Und genau das wird ja von staatlichen russischen Organisationen getan. Anstatt also ein weiteres «Psiphon» oder «Lantern» zu entwickeln, die ihre Aufgaben als zentralisierte Systeme brillant handhaben, das steht außer Frage, schlagen wir einen entgegengesetzten Ansatz vor.

Wir geben einem Nutzer, einer Nutzerin die Möglichkeit, ein kleines VPN für Freunde und Familie zu verteilen. Um es ein wenig plastischer zu schildern; Ein typischer Fall dafür kann zum Beispiel sein, wenn ein Universitätsstudent Zugang zur Verwaltung unseres VPN erhält, es dann an Klassenkameraden und seine Mama verteilt, um Instagram zu sehen; den Papa und den Großeltern damit versorgt, damit diese eben nicht nur die Nachrichten von Russia Today konsumieren müssen.

Ein solches VPN sieht von außen aus wie ein normales VPN eines gewöhnlichen kleinen Unternehmens, welches aber für eine zentralisierte Maschine wie Roskomnadzor (RKN) sehr teuer und sehr schwierig zu blockieren ist.

René Ebert: Roskomnadzor ist eine berühmt berüchtigte Behörde in Russland, die Systeme zur Überwachung der Aktivitäten der russischen Bürger im Internet betreibt.

Nikita Zubov: Ganz genau; anstatt also alle neuen Adressen und Methoden der Datenverkehrszustellung zu verfolgen, wie es das RKN also Roskomnadzor jetzt intensiv und mit viel Aufwand macht, wenn es um große VPNs geht, muss die Überwachungsbehörde VPN-Protokolle vollständig ausschalten. Und davor schreckt man zurück, denn dies ist dann oft mit größeren Schäden für den generellen Datentransfer und damit auch für die russische Wirtschaft verbunden. Ein gutes Beispiel dafür waren Schäden, die entstanden sind, als man 2019 Versuche unternahm Telegramm zu blockieren. Und Telegramm, das muss man wissen, wird in Russland sehr stark genutzt.

René Ebert: Ihr VPN Generator hat, so hatte ich an anderer Stelle gelesen, schon sehr hohe Nutzerzahlen erreicht. Sehr namhafte Medien wie zum Beispiel die New York Times, die Deutsche Welle, die Washington Post und andere haben schon darüber berichtet. Wie sind Sie vorgegangen, um Ihr Projekt sichtbar zu machen? 

Nikita Zubov: Der Antrieb ist meine Antipathie gegen das herrschende System in meiner Heimat. Und der ungeheuerliche Angriffskrieg, der nun im Februar vom Zaun gebrochen wurde, hat mich und viele meiner MitarbeiterInnen, die auch russische Wurzeln haben, nur noch härter tagtäglich daran arbeiten lassen, die Russen in der Heimat über die verschiedensten Kanäle, Kontakte und Plattformen von unseren Services Kenntnis erlangen zu lassen. Wir haben in Russland einen Ausspruch, der mir immer wieder in dem Zusammenhang in den Sinn kommt und der in etwa so geht: Je härter man die Faust ballt, desto mehr Wasser tritt aus. Und wir wenden uns genau an diejenigen, die die Faust ballen in Russland und davon gibt es viele, um den Bekanntheitsgrad unserer Lösungen voranzubringen.

René Ebert: Gehen die NutzerInnen Risiken ein, wenn Sie Ihre Lösungen einsetzen?

Nikita Zubov: Es bestehen im Grunde technische Risiken und wir sind uns dessen sehr bewusst und achten deshalb in der stetigen Weiterentwicklung mit höchster Sorgfalt auf die folgenden Bereiche:

- Anonymisierung. Wir haben die Software so gestaltet, dass keine personenbezogenen Daten gespeichert werden. Die User erhalten einzigartige Namen innerhalb ihres VPN, die auf keinerlei Weise mit ihnen persönlich verknüpft sind und Rückschlüsse zulassen. Wir vergeben immer die Namen von Friedensnobelpreisträgern. Das finden wir äußerst passend.

- Blockieren eines VPN. Wenn das Network blockiert wird, kann einfach ein neues erstellt werden. Dies ist glücklicherweise in kleinen Gruppen wie vorhin an dem Beispiel geschildert nicht so schwierig. Darüber hinaus bedeutet eine Blockierung, dass sich jemand, wenn man so will, als Bösewicht in diese Gruppe geschlichen hat und die VPN-Adresse kompromittiert hat. Auf diese Weise kann schnell eingesehen werden, wem man vertrauen kann und wem nicht.

Auf die Liste der Verdächtigen zu kommen. Wir lassen unser VPN möglichst ähnlich wie ein normal funktionierendes VPN aussehen, so dass selbst ein Internetprovider nicht in der Lage ist, einen bestimmten Benutzer zu markieren.

René Ebert: Was möchten Sie mit Ihrem VPN-Generator bewirken und worüber würden Sie sich besonders freuen?

Nikita Zubov: Ich bin der Überzeugung, dass Propaganda nicht durch Gegenpropaganda besiegt werden kann, und das ist im Institut auch nicht unser Weg. Wir wollen aber jedem Russen mit unserer kostenlosen VPN-Variante zur Verfügung stehen, wenn für die Menschen die Lügen aus dem staatlichen Fernsehen und anderen Medien immer unerträglicher werden. Und genau so ergeht es immer mehr Menschen in meinem Heimatland. Und um dies zu tun, arbeiten wir jeden Tag daran, die von Roskomnadzor blockierten Medien den russischen BürgerInnen zugänglich zu machen und verbessern unser Produkt stetig. Es ist ein Informationskrieg im wahrsten Sinn des Wortes bezogen auf die Qualität der Informationstechnik respektive der Software.

Freuen würde ich mich besonders darüber, wenn der Behördenchef von Roskomnadzor unsere VPN-App bei einem Vortrag den KollegInnen mit den Worten präsentiert "Schaut mal hier, was für eine coole App meine Tochter mir auf meinem Smartphone installiert hat!" (lacht).

René Ebert: Gab es ein besonderes Ereignis in Ihrem Leben, das Sie persönlich dazu motiviert hat, Ihre Idee in die Tat umzusetzen?

Nikita Zubov: Ein besonderes Ereignis in der Vergangenheit nicht, sondern die vielen kleinen Häufungen von Verboten, Repressalien und Einschränkungen, die mich ja vor ein paar Jahren bewogen haben, mein Land zu verlassen, was mir nicht leicht gefallen ist. Ein drastisches Ereignis und ein Point of no Return war der Beginn des blutigen Krieges gegen unseren Nachbarn, die Ukraine. Das ist für mich als Russe unfassbar und tut mir täglich in der Seele weh.

René Ebert: Welche Auswirkungen könnte der breitenwirksame Zugang zu unabhängigen Medien in Russland aus Ihrer Sicht haben? Welche Effekte und Veränderungen könnten sich hieraus ergeben?

Nikita Zubov: Historisch gesehen war die Unabhängigkeit der Medien der Schlüssel zu einer langfristigen Entwicklung der Länder in der Welt. Sowohl Deutschland als auch Russland hatten in ihrer Geschichte Zeiten, in denen die Freiheit einer abstrusen Ordnung und der Gewalt geopfert wurde. Sie und ich wissen ganz genau, wie das endet.

Die Pressefreiheit führt also wie immer zur Freiheit der Meinungsäußerung, die Meinungsfreiheit bringt den Pluralismus hervor, der Pluralismus untermauert Kultur und Wissenschaft, und diese werden für einen Wirtschaftswachstum vorausgesetzt. Und danach ist das Wohlergehen der Menschen aus meiner Sicht nur einen Steinwurf entfernt.

René Ebert: Wie können andere Ihre Initiative unterstützen?

Nikita Zubov: Wie immer ist die Veröffentlichung der Schlüssel. Es ist notwendig, dass möglichst viele Menschen, die auf die eine oder andere Weise mit Russland verbunden sind, von dieser Möglichkeit erfahren.

Wenn Unternehmen oder andere Organisationen weitere technische Ressourcen für uns arrangieren können wie zum Beispiel IP-Adressen, Server, etc. – dann sollen diese uns sehr gern kontaktieren. Wir werden sie mit Dankbarkeit und Sorgfalt nutzen und sie ausschließlich für den in unserem Gespräch geschilderten aus unserer Sicht sehr guten Zweck einsetzen.

Aber das Wichtigste ist, die Redefreiheit in Ihrem Land hier in Deutschland zu wahren und darauf kann man hier durchaus sehr stolz sein.

René Ebert: Vielen Dank Herr Zubov für das Gespräch und ich wünsche Ihnen und ihrem Team den bestmöglichen Erfolg; am besten so viel Erfolg, dass es irgendwann ihres Dienstes gar nicht mehr bedarf.

Nikita Zubov: Oh ja, das wäre der Idealzustand und ich wäre der glücklichste Mensch auf Erden und würde mich gemeinsam mit meinem Team auf ewig freuen, wenn wir zu der Herbeiführung dieses Zustandes ein klein wenig beigetragen haben.

https://iedn.net/

IEDN Privatinstitut zur Förderung und Entwicklung öffentlicher digitaler Netze gGmbH