Wir wollen sagen können: Das Problem des Fachkräftemangels in der ICT-Branche ist überwindbar!“

17.09.2013

ICT - Wirtschaft der Hauptstadtregion arbeitet auf der Basis ihrer aktuellen Human Capital Ressources-Studie langfristig an der Sicherung des Mitarbeiterpotentials der Unternehmen

Berlin/ Wildau. Der demografische Wandel stellt auch die IT-Wirtschaft in der Hauptstadtregion vor enorme Herausforderungen. Mitarbeiter durch kluge Personalpolitik gewinnen, binden, motivieren, fördern ist eine Aufgabe, die zu einem wesentlichen Erfolgskriterium wird. Auch die im SIBB e.V. organisierten Mitgliedsunternehmen konkurrieren um die besten und motiviertesten Nachwuchskräfte und Mitarbeiter in ihrer Branche. Eine aktuelle Umfrage des IT-Branchenverbandes der Hauptstadtregion zur Fachkräftesituation gibt Unternehmen, Verbänden, Verwaltungen, aber auch dem Ausbildungssektor und der Politik wichtige Handlungsempfehlungen für Maßnahmen und Handlungsoptionen. Ausgewählte Ergebnisse dieser Studie stellen Dr. Susanne Seffner, Sprecherin des SIBB Forums Human Ressources und die Verantwortliche für die Brandenburger IT-Wirtschaft SIBB region, Astrid Vieth, vor.

Was hat Sie zu Ihrer jüngsten Studie zur Fachkräftesituation der IT-Wirtschaft in der Hauptstadtregion bewogen?

Dr. Susanne Seffner: Für uns als Verband im Allgemeinen und als SIBB FORUM Human Ressourcess im Besonderen ist dies eine wichtige Arbeitsgrundlage im Rahmen der Unterstützung unserer Mitglieder, aber auch der gesamten Branche, bei der Lösung kommender Probleme und anstehender Aufgaben bei der Fachkräftesicherung. Dazu war es nötig zu wissen, wo die Branche aktuell steht! Das wollten wir nicht erst tun, wenn die Probleme nicht mehr lösbar sind, sondern bereits in einer Phase, in der es darum geht, auf der Basis dieser Ergebnisse Konzepte und Ideen zu entwickeln, dem deutschlandweiten Trend entgegen zu wirken, der leider auch vor der IT nicht Halt macht. Im Gegenteil, der unsere Branche auch auf Grund der schnellen Wachstumsprozesse in der Digitalisierung vor besonders große Probleme stellen kann, wenn wir nicht handeln.

Frage: Wie rekrutiert die IT-Wirtschaft bisher Ihre Mitarbeiter? Wo steht die Branche aktuell?

Dr. Susanne Seffner: Die eigene Homepage und persönliche Netzwerke und Empfehlungen sind der primäre Kanal für die Gewinnung neuer Mitarbeiter. Danach folgen in der Bedeutung für die Unternehmen Stellenbörsen und die Anstellung von Hochschulabsolventen, die ein Praktikum absolviert oder ihre Abschlussarbeit im Unternehmen geschrieben haben. Auch die Bedeutung von Social Media Kanälen nimmt bei der Gewinnung neuer Mitarbeiter zu. Direkte Partnerschaften mit Ausbildungseinrichtungen, eigene Ausbildung und der Einsatz von Personalberatern spielen eine nachrangige Rolle. Daraus schlussfolgernd gilt es, dass die Unternehmen aktive Formen der Personalsuche wie z. B. die Zusammenarbeit mit Ausbildungseinrichtungen ausbauen.

Viele Unternehmen beklagen, dass offene Stellen nicht zu besetzen sind. Welche Erfahrungswerte gibt es bei den IT-Unternehmen der Region? Die Hauptstadtregion gilt als Hot-Spot der IT-Wirtschaft in ganz Deutschland. An Personal dürfte es doch also nicht mangeln?

Astrid Vieth: So einfach ist es leider nicht. Denn auch die IT beklagt lange Zeiträume, um Stellen zu besetzen. Unbesetzte Stellen schränken die Wettbewerbsfähigkeit ein und verursachen hohe Kosten. Unternehmen müssen dabei befürchten, Aufträge nicht annehmen oder nicht ausreichend schnell
bearbeiten zu können. Gleichzeitig steigt die Dauerbelastung bei den bestehenden Mitarbeitern durch zu viele unbesetzte Stellen. Die Folgen in Form von Fluktuation, Krankenstand und Unzufriedenheit sind hinreichend bekannt und verstärken den Personalmangel schlimmstenfalls.

Wo sehen Sie die Gründe für dieses Problem?

Astrid Vieth: Als Hindernis für die Besetzung offener Stellen werden insbesondere die mangelnde persönliche Eignung der Kandidaten, die Differenz der Unternehmens- und Mitarbeitervorstellungen beim Gehalt und mangelndes Interesse junger Menschen an ICT-Berufen genannt. Vor allem schwer zu besetzen sind Positionen, für die Berufserfahrungen und ein breites Spektrum an Kenntnissen erforderlich sind. Auf den Punkt bedeutet das: Der Mangel an Fachkräften beeinträchtigt insgesamt die Leistungskraft der Informations- und Kommunikationstechnikwirtschaft in der Region Berlin-Brandenburg.

Leiten Sie daraus Handlungsansätze für die Gewinnung von Personal ab?

Susanne Seffner: Ja, unbedingt. Erfreulich ist zunächst die schnelle Einsatzfähigkeit von Absolventinnen und Absolventen von Berufsausbildungen bzw. IT-bezogenen Studiengängen. Die Ergebnisse zeigen, dass Absolventen einer Berufsausbildung überwiegend einer Einarbeitung bedürfen, die sich aber im akzeptablen Rahmen bewegt. Allerdings wünschen sich die Unternehmen mehr praktische Bezüge in der Ausbildung wie realitätsbezogene Projektarbeit und Kundenservice, sowie Ausbildung in modernen Technologien und die Entwicklung persönlicher und sozialer Kompetenzen. Eigentlich sollte man annehmen, dass in der dualen Ausbildung die Unternehmen selbst für den Realitätsbezug sorgen. Wie auch immer: Hier müssen wir dringend ansetzen und eine noch engere Verzahnung zwischen Ausbildung und zukünftigen Arbeitgebern anstreben. Darüber hinaus sollte für junge Menschen das Interesse an Informatik wie an den MINT-Fächern allgemein weiterentwickelt und auch an der Überwindung falscher Berufsbilder gearbeitet werden.

Was mir noch sehr am Herzen liegt, ist die Professionalisierung des Personalmanagements. Die ICT-Branche in Brandenburg und Berlin ist durch KMU geprägt. Nicht immer sind dort die Ressourcen und die Expertise vorhanden, die für eine effektive und effiziente Mitarbeitergewinnung und Mitarbeiterbindung erforderlich sind. Die Unternehmen müssen sich hier besser aufstellen, um auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu sein. Sie müssen auch umdenken – momentan sind die Unternehmen die Werbenden! Der SIBB möchte gerade KMU dabei unterstützen, ggf. auch in Kooperationsformen, das Personalmanagement weiter zu entwickeln. Gelingt dies, ist ein großer Schritt getan.

Ausbildung, Studium und Qualifikation ist das eine? die Attraktivität des Unternehmens und damit die Bindung des Mitarbeiters an ebendieses spielt eine zunehmende Rolle bei der Entscheidung für ein Unternehmen und die angebotene Position. Wo sehen Sie die Potenzen für die IT-Unternehmen in Berlin und Brandenburg, in diesen Bereichen zu punkten?

Susanne Seffner: Im Wettbewerb um Mitarbeiter spielen bei den befragten Unternehmen kostenneutrale Aspekte wie interessante Aufgaben / Projekte, flexible Arbeitsformen wie Home-Office sowie die Führungsqualität und das Zusammengehörigkeitsgefühl im Unternehmen eine wichtige Rolle. Demgegenüber sieht man Sozialleistungen oder die Vergütung eher nachrangig. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass knapp die Hälfte der Unternehmen Familienfreundlichkeit als Mittel zur Steigerung ihrer eigenen Arbeitgeberattraktivität nennt. Ich bin mir sicher, dass die ICT-Wirtschaft gerade auch in diesem Bereich dank ihrer Flexibilität Vorbildwirkung für andere Branchen übernehmen kann. Es gibt verschiedene Unternehmen, die hier vorangehen und zeigen, dass es möglich ist, Familie und Beruf vereinbar zu machen. Dies sollte die Unternehmen ermutigen.

Astrid Vieth: Hinzu kommt, dass sich die Anforderungen an die Qualifikationen der Fachkräfte in der Informations- und Kommunikationstechnologie so schnell ändern, wie in kaum einer anderen Branche. Daher müssen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Kenntnisse und Fertigkeiten stetig weiter entwickeln. Nur so können die Unternehmen auf lange Sicht ihre Wettbewerbsfähigkeit sicher stellen. Über 20 Prozent der Unternehmen investierte 2012 bis zu sieben Prozent ihres Ertrags bereits in Maßnahmen zur Weiterbildung / Qualifizierung des Personals und knapp ein Drittel der Unternehmen steigerte das Budget in diesem Geschäftsjahr weiter. Es darf unterstellt werden, dass die meisten Unternehmen das Ziel verfolgen, eine gute Mitarbeiterbindung herzustellen und attraktiv für neue potenzielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sein. In diesem Zusammenhang sind wir als Verband natürlich auch besonders gefordert, mit gezielten Ausbildungs- und Qualifizierungsformaten unsere Mitglieder zu unterstützen. Praktische Fragen des operativen Personalmanagements verbunden mit einem regelmäßigen Austausch von Personalverantwortlichen zur Gewinnung und Integration von Mitarbeitern wie sie das Forum Human Ressources in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellt, bieten wichtige Mehrwerte, von denen Unternehmer und Mitarbeiter profitieren. Aber auch mit der Vernetzung der Unternehmen besonders im Flächenland Brandenburg durch die Dachmarke SIBB region wollen wir regionalspezifische Lösungsangebote zur Mitarbeitergewinnung unterbreiten, da das Flächenland noch einmal andere Probleme als Berlin zu lösen hat.

Nun durchdringen IT-Dienstleistungen und Services zunehmend alle Wirtschaftszweige der Hauptstadtregion. Befürchten Sie, dass sich damit das Problem für die IT in kürzester Zeit verschärft, da die klassische IT-Wirtschaft mit anderen Branchen um die eigenen Fachkräfte konkurrieren muss?

Susanne Seffner: Das ist zu befürchten, sicher. Der Mangel an Fachkräften in der ICT-Industrie und der Digital Business Industrie kann heute nicht mehr losgelöst von anderen Branchen gesehen werden. Die Informatik in all ihren Facetten durchdringt mittlerweile (fast) alle Dienstleistungs- und Industriebereiche und wird auch in den Anwenderunternehmen immer mehr zum strategischen Faktor. Sicher werden wir auch hier als regionaler Branchenverband der ICT Wirtschaft verstärkt gefordert sein, sodass wir unsere Angebote, Qualifizierungs- und Weiterbildungsformate dahingehend weiter entwickeln, dass die verschiedensten Mittel und Möglichkeiten der Mitarbeitergewinnung, -bindung und -entwicklung zum Erfolg führen und wir vielleicht in einigen Jahren sagen können: „Fachkräfteproblem? Gibt es in der ICT nicht!“ Das wäre ein ehrgeiziges, doch erfüllbares Ziel!

Was für eine schöne Vision! Danke für die Ausführungen!

Hier geht’s zum ausführlichen Ergebnisbericht:
www.sibb.de/fileadmin/pdf/Forum_HR/HCG_Ergebnisbericht.pdf

Hintergrund
Über den IT-Branchenverband SIBB e. V.

Der SIBB e. V. ist der ICT?Branchenverband der Hauptstadtregion. Er vertritt die Interessen vornehmlich mittelständischer ICT-Hersteller- und Dienstleistungsunternehmen gegenüber Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Der Verband ist Partner und Dienstleister der regionalen Unternehmen und vernetzt die ICT-Wirtschaft untereinander sowie mit Unternehmen aus Industrie sowie KMU anderer Branchen gebiets- und länderübergreifend. Ziel des SIBB ist die Entwicklung und Schärfung der Wahrnehmung Berlin-Brandenburgs als eine der innovativsten und erfolgreichsten ICT-Regionen Deutschlands sowie die Herausstellung des hohen Dienstleistungsspektrums und der Produktvielfalt von IT-Unternehmen der Hauptstadtregion für die gesamte Volkswirtschaft.

Mitgliedsunternehmen partizipieren unter anderem von der Vernetzung mit branchenfremden Wirtschafts- und Industriezweigen, Fach- und Weiterbildungsveranstaltungen, Netzwerk- oder After-Work-Treffen sowie einem speziellen Benefit-Programm bei Lieferanten und Dienstleistern.

Hintergrund
Über SIBB region

SIBB region betreut, vernetzt und unterstützt als integraler Bestandteil des SIBB e. V., dem ICT-Branchenverband der Hauptstadtregion, Unternehmen der ICT-Branche im Flächenland Brandenburg. Das Netzwerk SIBB region wird vom Ministerium für Wirtschaft und Europaangelegenheiten des Landes Brandenburg im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (GRW) aus Mitteln des Bundes und des Landes Brandenburg gefördert.